Mehr als eineinhalb Jahre Pandemie, in der die Welt den Atem angehalten hat, sind vergangen. Die Kontaktbeschränkungen haben Kultur im öffentlichen Raum unmöglich gemacht, Lesungen sind ausgefallen oder wurden verschoben. Doch nach und nach können wir wieder aufatmen, endlich. Aber gilt das auch für Brasilien und seine vielfältige Literatur?

Wir wollen herausfinden, wo der brasilianische Literaturbetrieb steht, wie es den Autor:innen geht, ob sie und ihr Schaffen, ihre Werke heil aus der Krise herausgekommen sind. Haben sie sich zurückgezogen und geschrieben, vielleicht so viel wie noch nie? Wer ist verstummt, wer doppelt so laut wie zuvor? Gibt es neue literarische Trends, neue junge Stimmen?

Über neue Bücher und Schriftsteller:innen aus Brasilien und die Lage des brasilianischen Literaturbetriebs sprechen der Übersetzer und Literaturvermittler Michael Kegler und die Literaturdozentin und Herausgeberin Luísa Costa Hölzl mit dem Journalisten, Autor und Herausgeber der bedeutenden brasilianischen Literaturzeitschrift Rascunho, Rogério Pereira.

Rogério Pereira, geb. 1973 in Galvão (Santa Catarina, Brasilien), ist Journalist, Herausgeber und Autor. 2000 lancierte er in Curitiba die Zeitschrift Rascunho (https://rascunho.com.br/)  – eine der wenigen Zeitschriften über Literatur in Brasilien. Er koordiniert außerdem die literarische Bühne Paiol Literário (https://paiolliterario.com.br/). Von 2011 bis 2019 war er der Leiter der Öffentlichen Bibliothek von Paraná. Er hat den Roman Na escuridão, amanhã (2013) sowie zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.

Michael Kegler, geb. 1967 in Gießen, verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Liberia und Brasilien. Seit den Neunzigerjahren übersetzt er Literatur aus dem lusofonen Sprachraum.2014 erhielt er den Straelener Übersetzerpreis und 2016, gemeinsam mit dem von ihm übersetzten Autor Luiz Ruffato, den Hermann Hesse-Preis der Stadt Calw. 

Luísa Costa Hölzl, geboren 1956 in Lissabon, lebt in München, wo sie sich für die Förderung der lusofonen Kulturen und Literaturen engagiert. Herausgeberin von literarischen Anthologien, Publizistin und Dozentin für Portugieisch.

Eine Explosion aus Energie und Lebenslust, eine starke Stimme und beeindruckende Bühnenshow – und natürlich eine heiße musikalische Mischung. „DNA“ heißt das vierte Album von Flavia Coelho, der Künstlerin aus den Favelas von Rio mit Wahlheimat Paris. Dementsprechend glänzt ihre Musik durch Hybridität: Baile Funk gepaart mit der Musik der Karibik, die Cumbia wird neu erfunden, HipHop trifft Reggae und auch der Pop wird dabei nicht aus den Augen gelassen. Gemeinsam mit ihrer Band fährt sie eine Groove- und Charme-Offensive, die sich gewaschen hat.

Video Flavia Coelho – DNA
Flavia Coelho en Concerts Volants – ARTE Concert
www.flaviacoelhomusic.com

„Das Wort erschafft die Wirklichkeit. Wer eine Geschichte erfindet, erfindet eine Welt. Es gibt keine wahre Fiktion, da uns jede Fiktion eine Wirklichkeit auferlegt.”

Diese Worte des angolanischen Schriftstellers José Eduardo Agualusa beschreiben auch seine eigene Gabe, Geschichten zu erfinden und mit diesen neue Wirklichkeiten zu erschaffen. Wer sich davon überzeugen möchte, kann dies in einer virtuellen Begegnung mit José Eduardo Agualusa tun. In einem Onlinegespräch mit seinem Übersetzer Michael Kegler unterhalten sich die beiden über Inseln, Winde und Meere, über „die Lebenden und die Anderen“ (Titel seines jüngsten Romans). Zudem bekommen wir eine von Agualusas aktuellen Kolumnen zu hören.

Der Autor wird von seinem Schreiben berichten, von Fiktionen und Wirklichkeiten, vom Schaffen und vom Alltag, von Erlebnissen und Träumen. Das lebendige Gespräch ist offen für die aktive Teilnahme all derer, die das möchten, und bringt uns so der Literatur, ihren Themen und ihrer Rolle für und zwischen uns ein Stück näher.

Lesung und Gespräch: José Eduardo Agualusa und Michael Kegler
Musikalische Begleitung: Dandara Modesto

José Eduardo Agualusa, 1960 in Huambo/Angola geboren, studierte Agrarwissenschaft und Forstwirtschaft in Lissabon. Seine Gedichte, Erzählungen und Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Eine allgemeine Theorie des Vergessens stand auf der Shortlist des Man Booker International Prize 2016. In seinem jüngsten, bisher noch nicht auf Deutsch erschienenen Roman, “Os vivos e os outros” (2020), stranden einige Autoren unfreiwillig auf einer Insel, die sie wegen eines Unwetters nicht verlassen können. Agualusa lebt als Schriftsteller und Journalist zurzeit in Mosambik.

Michael Kegler, geb. 1976 in Gießen, verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Liberia und Brasilien. Seit den 90er Jahren übersetzt er Literatur aus dem lusofonen Sprachraum.2014 erhielt er den Straelener Übersetzerpreis und 2016, gemeinsam mit dem von ihm übersetzten Luiz Ruffato, den Hermann Hesse-Preis der Stadt Calw. Er übersetzte auch die drei zuletzt auf Deutsch erschienenen Romane von Agualusa. 2021 erscheinen viele Übersetzung großer portugiesischer Autor*innen aus seiner Feder, so u.a. von Sophia de Mello Breyner Andresen, Al Berto und Ana Luísa Amaral.

Dandara Modesto, Sängerin und Musikerin, geb. 1990 in São Paulo, lebt heute in Zürich. Mit ihrem charismatischen Gesang verarbeitet sie verschiedene künstlerische Ausdrucksweisen, von der Musik über Poesie und Performance bis hin zu den bildenden Künsten. Ihr zeitgenössischer, ein “anderes” Brasilien repräsentierender Stil hat seine Wurzeln in der Música Popular Brasileira, steht in der Tradition des brasilianischen Liedguts und der beliebten afrobrasilianischen Rhythmen und bedient sich mit einem Augenzwinkern bei Jazz und Groove.

In ihrem Roman Die Dicke erzählt die portugiesische Schriftstellerin Isabela Figueiredo eindringlich und schonungslos aus dem Leben einer Frau, die als Kind aus Mosambik nach Portugal kommt und dort unter der Erfahrung von Zurückweisung und Verlassenheit erwachsen wird.

Maria Luísa geht durch die elterliche Wohnung in Almada, am Südufer des Tejo, gegenüber von Lissabon. Viele Jahre hat sie dort mit ihren Eltern gewohnt, nun sind beide tot. Auf ihrem Rundgang rufen das Mobiliar und der Nippes Erinnerungen hervor. So entwickelt sich in großen Bögen ihre Lebensgeschichte: ihre Ankunft als 12jährige in einem ihr fremden Portugal, die Zeiten bei Oma und Tanten in der Provinz, das Internat, das Studium in der Hauptstadt, die ersten Romanzen und schließlich die große Leidenschaft und Liebe für den jüngeren Studienkollegen David. Als auch die Eltern aus Mosambik zurückkehren, teilt sie den schwierigen Alltag mit ihnen, mitunter erhellt von glücklichen und unbeschwerten Momente einer verschworenen Gemeinschaft. Und immer wieder der Kampf mit dem eigenen übergewichtigen Körper, ihr „ungezähmtes Monster“, das sie später durch eine Magenverkleinerung bezwingen wird.

Die Zimmer als Resonanzräume von Maria Luísas Leben mit all seinen Abgründen und Illusionen lassen auch das Bild eines Landes entstehen, das sich teils mühsam, teils unbeschwert aus Jahrzehnten von Diktatur, Kolonialismus und einengender konservativer Moralvorstellungen befreit und, wie die Protagonistin, nach Stabilität und Glück ersehnt.

Die Journalistin und Schriftstellerin Isabela Figueiredo wurde 1963 in Lourenço Marques, dem heutigen Maputo, in Mosambik geboren und 1975 nach der Nelkenrevolution in Portugal und der Unabhängigkeit Mosambiks zu Verwandten zurück ins Landesinnere Portugals geschickt. In ihrem autobiografischen Bericht, Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit (auf Portugiesisch 2009 erschienen; auf Deutsch 2019, Weidle Verlag), setzte Isabela Figueiredo sich sehr persönlich und kritisch mit dem portugiesischen Kolonialismus in Mosambik auseinander. Ihr Roman, Die Dicke, ist 2021 auf Deutsch bei Weidle Verlag erschienen. Auf ihrem Blog und auf Facebook publiziert Isabela Figueiredo regelmäßig Kurzprosa.

Wir laden dazu ein, vom Sofa aus Blicke in diverse Ausstellungen und Sammlungen der lusofonen Welt zu werfen. Hier einige Links zu Museen, die virtuelle Besuche/Führungen anbieten, mal sind es nur Fotos, mal Panorama-Spaziergänge, meistens auf Portugiesisch, einige auf Englisch. Klicken Sie sich durch die Webseiten, es gibt schöne Überraschungen.

PINACOTECA DE SÃO PAULO

MUSEU NACIONAL DO RIO DE JANEIRO

MUSEU AFRO-DIGITAL, SALVADOR, BAHIA

MUSEU DE ARTE ANTIGA, LISSABON

MUSEU GULBENKIAN, LISSABON

PARK DES GULBENKIAN-MUSEUMS IN LISSABON
(in Gebärdensprache)

und weitere Angebote in Lissabon

FUNDAÇÃO DE SERRALVES IN PORTO